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Schmerzmittel im Breitensport – fataler Einsatz?

Sport ist überwiegend gesund, wenn er nicht zu ambitioniert betrieben wird.
Allerdings werden in unserer leistungsorientierten Gesellschaft bereits im
Breitensport immer mehr Schmerzmittel und vor allem riskante, nicht steroidale
Analgetika sorglos und viel zu großzügig eingesetzt, warnen Dr. med. Michael
Küster, DGS-Leiter Bonn – Bad Godesberg, und Prof. Kay Brune, Toxikologe
und Pharmakologe, Erlangen.



Dass Sport überwiegend gesund ist, ist eine nicht zu bestreitende Tatsache.
Epidemiologische Untersuchungen und prospektive Kohortenstudien belegen
eindrücklich, dass regelmäßiges Training beziehungsweise körperliche Aktivität
eine enorme Bedeutung für die Prävention und Therapie ganz unterschiedlicher
Krankheitsentitäten besitzen.
Es müssen nicht unbedingt ein Marathonlauf oder lange, einsame Kilometer auf
dem Ergometer sein. Bereits zwei Stunden Sport in der Woche reduzieren z.B.
nach der Women’s Health Study das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse.
ältere Menschen, die regelmäßig Sport treiben, sollen ca. acht Jahre länger leben.
Die Wissenschaftszeitschrift "Scientific American" stellt sogar die Frage:
"Can a walk a day keep Alzheimer’s away?". Dies erklärt auch, warum aus der
anfänglichen "Trimmdich"-Kampagne zur Förderung des Breitensports inzwischen
eine Massenbewegung wurde, die zu sportlichen Breitensport-Massenereignissen wie
z.B. dem Berlin-Marathon führte, an dem deutlich über 40000 Breitensportler
teilnehmen.

Leiden Breitensportler immer mehr?
Jedoch sind Zweifel und Kritik sicher angezeigt: "Die Tour der Leiden", so wird
auch die Tour de France genannt. Schmerzen gehören dazu. Leistungsbereit sein heißt,
bereit sein für den Schmerz. "Schneller, höher, weiter, mehr, schwerer ...", diese
Maxime hat sich offensichtlich jeder Hochleistungssportler auf die Fahne geschrieben.
Sport wird pervertiert. Sport wird in vielen dieser Fälle seines eigentlichen Sinnes
beraubt – er wird ungesund! So zeigte eine aufsehenerregende amerikanische Studie,
dass Marathonläufer mehr Gefäßverkalkungen aufweisen als die Mitglieder einer
altersgleichen Vergleichsgruppe. Sport sollte nicht nur Körper und Geist fördern,
er sollte vor allem Spaß machen, und zwar zu jeder Zeit. Der Antrieb von Ruhm und
Geld macht aus Sport schlichtweg einen Beruf, also Arbeit. Aber: Wir alle kennen sie,
die verzerrten Gesichter, am Boden liegend, beim Zieleinlauf, bei der Anfahrt zum
Berg oder auch einfach so. Schmerzen, Schmerzen. Jede Menge davon. Nicht nur durch
Verletzungen, sondern auch bei der normalen "Arbeit", dem Training. Das Warnsystem
Schmerz wird beim Hochleistungssport offenbar bewusst ignoriert.

Sport ohne Schmerzlimit
Schwerste Schäden werden akzeptiert. Sportler jeder Sportart treiben ihre Körper
an seine Grenzen und fast immer darüber hinaus. Sämtliche Stoffwechselsysteme
des Körpers werden überlastet. Die übersäuerung erreicht Werte, die einen normalen
Menschen sofort in ein Krankenhaus befördern würden. Da werden auch schwerste
Verletzungen als "berufsbegleitend" akzeptiert. Das gehört eben dazu. Um aber fit,
leistungsfähig und stets leistungsbereit zu sein, werden Schmerzmittel – überwiegend
vom Typ der nicht steroidalen Antirheumatika – im Sport in großen Mengen eingenommen.
Die Problematik wurde auch deutlich, als der ehemalige Bremer Bundesligaprofi
Ivan Klasnic 2007 aufgrund eines terminalen Nierenversagens aufgrund der Einnahme
von NSAIDS mehrfach nierentransplantiert werden musste.
"Beim Gewichtheben und in der Leichtathletik haben Stichproben gezeigt, dass zum Teil
100% der getesteten Athleten Schmerzmittel eingenommen haben. Das ist erschreckend",
sagt Mario Thevis vom Zentrum für präventive Dopingforschung an der Sporthochschule Köln.
Auch in anderen Sportarten ist die Einnahme von Schmerzmitteln weit verbreitet.
Im Fußball, im Radsport und beim Handball wird ebenfalls geschluckt und gespritzt,
um entweder die Schmerzgrenze prophylaktisch hinauszuschieben oder einen bereits
vorhandenen Schmerz zu unterdrücken.

Nierenschaden vorprogrammiert
Die Reaktionen auf einen Artikel im Deutschen ärzteblatt zum Thema "Sport und
Schmerzmittel: Unheilige Allianz zum Schaden der Niere" zeigten, dass Sportler
jeglicher Couleur offensichtlich regelmäßig zu nicht unerheblichen Mengen an
Schmerzmitteln greifen und Höchstleistungen sowie Training ohne derartige Substanzen
kaum möglich sind. Toni Graf-Baumann, Mitglied der Antidopingkommission des
Weltverbandes Fifa, berichtet sogar in kicker online von "exzessiver Einnahme" von
Schmerzmitteln im Profifußball: "Es ist erschreckend, wie unkritisch im Fußball mit
Schmerzmitteln umgegangen wird. Voltaren®, Ibuprofen oder auch Aspirin® werden mit
einer Selbstverständlichkeit geschluckt, als würde man einen Kaffee trinken – früh,
mittags und abends." Der "ganz normale Wahnsinn"?
Frank Busemann, Jahrgang 1975, Zehnkämpfer und olympischer Silbermedaillengewinner
1996, berichtete in der Sportschau: "Ich habe mir die Dinger (Anm.: Schmerzmittel)
eingeworfen wie Bonbons." Aber nicht nur im Hochleistungssport wird das Warnsystem
Schmerz überhört. Jeder einsame Marathonläufer, egal wie schnell er ist, kämpft während
seines Laufs gegen den Schmerz. Und was ist mit den vielen Rekordversuchen, dem
"1-Finger-Lastwagen-Ziehen" oder Rekordgewichtestemmen? Die Gesichter dieser
Menschen sehen nicht entspannt, erwartungsvoll oder erfreut aus. Sie sind
schmerzverzerrt. Die Teilnahme an Langstreckenläufen wird heute nicht nur von
trainierten Hochleistungssportlern, sondern auch von zahlreichen Laien als Beleg
einer besonderen körperlichen Fitness gewertet.

Bonner Marathonläufer
Angeregt durch diese Erfahrungen, wurden 1024 Teilnehmer des Bonn-Marathons 2009
(26.04.2009, über 10000 Teilnehmer) vor dem Start mit dem Ziel befragt, ihren
Schmerzmittelkonsum qualitativ und auch quantitativ zu ermitteln sowie auch ihren
Wissenstand über die Verwendung dieser Medikamente zu erfahren. Die Ergebnisse sind
in den Tabellen 1 und 2 zusammengefasst.

Tabelle 1

Tabelle 2

Bei den durch Laien (ältere Schüler) befragten Teilnehmern waren Frauen wie Männer
etwa gleichstark vertreten, wobei die Frauen etwas jünger waren. Die meisten Teilnehmer
hatten bereits an anderen Marathonläufen teilgenommen, wiesen jedoch sehr unterschiedliche
Trainingsniveaus auf. Etwa 11% der Teilnehmer berichtete über Schmerzen vor dem Lauf,
etwa ein Drittel über Schmerzen nach dem Lauf. Aber: Etwas mehr als 60% der Befragten
gaben an, bereits vor dem Start Schmerzmittel einzunehmen, eine erschreckende Zahl, die
durch eine noch größere Datenerhebung beim diesjährigen Bonn-Marathon (wird in Kürze
publiziert) bestätigt wurde. Die Studie zum Bonn-Marathon 2009 [8] zeigte, dass Männer
wesentlich häufiger zu Schmerzmitteln greifen als Frauen und viermal (66%) so oft im
Zusammenhang mit sportlichen Aktivitäten Analgetika konsumieren wie Frauen (15%).
Männer wie Frauen wählten zum Teil hohe Dosen und in einigen Einzelfällen auch
Zwei- oder Dreifachkombinationen verschiedener NSAIDS. Die Männer erwiesen sich im
Zusammenhang mit dem Bonn-Marathon 2009 als schmerzgeplagter und aggressiver bei der
Therapie ihrer Schmerzen. Alarmierend war für die Autoren, die diese Ergebnisse schon
2009 im Deutschen ärzteblatt und der Deutschen Apothekerzeitung DAZ publizierten, dass
die Sportler nicht nur die kurzen, aber effektiv wirksamen Wirkstoffe Ibuprofen und
Diclofenac verwendeten, sondern auch das weniger wirksame und in hohen Dosen leberschädigende
Paracetamol, die unnötig lange im Körper weilenden Antirheumatika Meloxicam und Naproxen
sowie COX-2-Hemmer. Weltweit ähnliche Befunde ähnliche Ergebnisse wie die der Studie zum
Bonn-Marathon 2009 wurden bereits beim Boston-Marathon 2002 erhoben. Auch hier ergab die
Befragung eine sehr hohe Prävalenz von vorab eingenommenen Schmerzmitteln, jedoch fehlte
eine detaillierte Analyse der Wirkstoffe, deren Herkunft und den jeweiligen Dosierungen.
Schwerste, gelegentlich auch tödliche Zusammenbrüche während derartigen Massen-Wettkämpfen
sind nicht selten, jedoch werden sie und ihre Ursachen nicht weiter verfolgt.
"Focus online" schrieb 2008 unter der überschrift "Der Tod läuft mit", die Bilanz des
Jahres spreche eine deutliche Sprache: acht Tote bei Lauf-Großveranstaltungen in
Deutschland allein 2007.

Der Tod läuft mit
Offensichtlich helfen Schmerzmittel gegen Schmerzen nach sportlicher Aktivität.
Sind sie also unerlässliche Hilfsmittel auf dem Weg zu Fitness und Gesundheit?
Die Antwort ist nicht leicht. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Einnahme
von Schmerzmitteln insbesondere auch im Zusammenhang mit der sportlichen Belastung
nicht ungefährlich ist. Die in Fachkreisen als "runners’s anemia, athlete’s oder
swimmer’s anemia" bzw. auf Deutsch als "Sportleranämie" bezeichnete Blutarmut weist
darauf hin, dass Blutverlust ein gängiges Phänomen bei Leistungs- und hier vor allem
bei Ausdauersportlern ist. Aber auch blutiges Erbrechen, blutige Diarrhö und blutiger
Urin während und nach Langstreckenläufen sind beschrieben. Der frühere Weltrekordler
Derek Clayton berichtete nach seinem Lauf zur Marathonweltbestzeit 1979: "I was urinating
[…] large clots of blood, and I was vomiting black mucus and had a lot of black diarrhea.”
ähnlich erging es der Langstreckenläuferin Stephanie Ehret. Nach einem 24-Stunden-Lauf und
dem Verbrauch von 2,4 g Ibuprofen kam sie (siegreich) mit akutem Nierenversagen ans Ziel.

Fatale Prophylaxe
Ausdauersportarten stellen eine erhebliche Belastung des gesamten Organismus, insbesondere
des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Trakts und der Niere dar. Dabei tragen drei
ganz unterschiedliche Mechanismen zur Organschädigung bei und verstärken sich dabei
gegenseitig:
1. Aufgrund des Sauerstoffbedarfs der Muskulatur werden andere Organsysteme (besonders
der Magen-Darm-Trakt) erheblich und die Niere (ein wenig) minderdurchblutet.
2. Bei allen Laufsportarten werden innere Organe durch Stöße und Schüttelbewegungen
beeinträchtigt. Dadurch erleiden die Funktion und Integrität dieser Organsysteme Schaden.
Die Barrierefunktion der Darmwand wird gestört. Zu den physiologischen, vom Organismus
meist ertragenen und kompensierten Schäden kommt bei der Anwendung von Schmerzmitteln
(und hier handelt es sich ausnahmslos um Cyclooxygenasehemmer) ein weiteres Problem hinzu:
3. Schmerzmittel erhöhen die Durchlässigkeit des Magen-Darm-Traktes. Bakterien und
bakterielle Toxine treten vermehrt im Blut auf und erhöhen die Durchlässigkeit weiter.
Diese Toxine schädigen ihrerseits den gesamten Organismus. Kopfschmerzen, Müdigkeit,
Abgeschlagenheit sind die Folgen. Auch die Nierenfunktion wird zusätzlich eingeschränkt.
Blutungen in den Magen-Darm-Trakt, aber auch in die Niere sind häufige Konsequenzen.
Sie werden leider allzu selten mit der sportlichen Belastung und dem Medikamentenkonsum
in Verbindung gebracht. Dabei liegt die Beziehung auf der Hand (Tab. 1).
Gefragt nach der Motivation zur Einnahme von Schmerzmitteln vor der sportlichen Belastung
antworteten 400 Teilnehmer des Bonn-Marathons 2010 (Daten werden in Kürze publiziert),
dass sie in erster Linie "Angst" vor Schmerzen während und nach dem Lauf haben. Die frühzeitige
Einnahme von schmerzlindernden Mitteln ist aber schmerztherapeutisch sinnlos bzw. falsch.
Eine Studie aus den Vereinigten Staaten zeigt, dass die regelmäßige Einnahme von Ibuprofen
während eines ca. 24 Stunden dauernden Ultramarathons im Vergleich zur Placebogruppe
keinesfalls mit weniger Schmerzen oder höherer Leistungsfähigkeit einherging (Abb. 1).

Abbildung 1

Nach dem Lauf waren die Muskel- und Gelenkschmerzen in beiden Gruppen gleich. Allerdings
wurden die letzten 200 mg Ibuprofen (in der behandelten Gruppe) bereits ca. sechs Stunden
vor dem Laufende eingenommen, d.h. zu früh, um die Schmerzen nach dem Lauf zu unterdrücken.
Andere Untersuchungen zeigen, dass unmittelbar nach der sportlichen Belastung eingenommenes
Diclofenac, Ibuprofen oder Naproxen Muskel- oder Gelenkschmerzen an den folgenden Tagen
reduzierte. Es wäre eine Illusion anzunehmen, dass die Information breiter Bevölkerungsgruppen
über die Risiken gelegentlicher sportlicher Höchstleistungen zu einem veränderten Verhalten
führen würde. Festzustellen ist, dass die Anzahl der Marathonveranstaltungen zunimmt (Abb. 2).

Abbildung 2

Einige Veranstalter beginnen sogar, sich mit besonderen Veranstaltungsorten und Ereignissen
zu brüsten wie beispielsweise dem Nordpol-Marathon 2009.
Sportärztliche Untersuchungen könnten das gesundheitliche Risiko des Sportlers abklären und
vermindern. Jedoch lassen sich laut einer 2008 veröffentlichten Studie an über 10 000
Langstreckenläufern nur 50% sportärztlich vorab untersuchen, bei den Neu- und Wiedereinsteigern
42,0%, bei den leistungsorientierten Sportlern immerhin 59,9%. In dieser Studie zeigte sich
jedoch auch, dass sportärztliche Untersuchungen oft mangelhaft sind. 15% erfolgten ohne
körperliche Untersuchung, ein Ruhe-EKG wurde nur bei 67,4% der Untersuchten angefertigt,
obwohl sportärztliche Untersuchungsrichtlinien dies fordern.

Schmerzfreie Disziplinen suchen
Bezogen auf die Prophylaxe bzw. Therapie von Schmerzen bei Ausdauersportarten sollte jeder
bei immer wiederkehrenden und starken Schmerzen für sich selbst die Sinnhaftigkeit der
entsprechenden Sportart prüfen. Manchmal könnte es durchaus gesünder sein, die Sportart
zu wechseln, als sie zwanghaft und zum Schaden des eigenen Körpers weiter zu betreiben.
Die Studien zeigen klar, dass geeignete Schmerzmittel nach der Belastung und nach einer
ausreichenden Flüssigkeits- und Salzzufuhr eingenommen werden sollten, wenn mit großer
Wahrscheinlichkeit Schmerzen nach dem Wettkampf zu erwarten sind. Geeignet sind kurz
wirksame NSAIDS wie Diclofenac und Ibuprofen in angemessener Dosis (400 mg Ibuprofen/50 mg Diclofenac).
Weniger geeignet und unsinnig sind alle NSAIDS mit langsamer Elimination wie Piroxicam,
Naproxen, Meloxicam oder die COX-2-Hemmer. Paracetamol wirkt nur sehr begrenzt in der
erlaubten Dosierung und wird daher gelegentlich zum Schaden der Leber überdosiert,
daher gilt: kein Paracetamol. ASS sollte auf keinen Fall empfohlen bzw. eingenommen
werden, da es die Blutungsneigung für Tage erhöht, schon manche Notoperation nach Stürzen
erschwerte und auch die Entstehung von sturzbedingten Kompartementsyndromen begünstigt.
Auch verstärken die vor dem Sport genommenen COX-Hemmer flüssigkeits- und salzmangelbedingte
Herz-Kreislauf-Risiken. Daher sollte vor der Einnahme solcher Substanzen das Salz- und
Flüssigkeitsdefizit ausgeglichen werden. Auch die Einnahme von Magnesium kann empfohlen werden.


Mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Michael Küster und Professor Kay Brune
sowie der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. - DGS


Dr. Michael Küster Prof. Kay Brune
Dr. Michael Küster Prof. Kay Brune